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Mehr Mut!

Justitia Göttin von pixabay.com

Zehn Jahre zeichnete DIE LINKE in Brandenburg und damit eine Partei für das Justizressort verantwortlich, die, aus bürgerlichem Blickwinkel betrachtet, Schwierigkeiten mit dem Rechtsstaat und der Demokratie hat. Waren das „verlorene Jahre“ für die Gesellschaft und DIE LINKE? Der Beitrag untersucht linke Justizpolitik auf Anspruch und Wirklichkeit.

von Ronald Pienkny und Volkmar Schöneburg

Es gehörte zu den folgenschweren Irrtümern des implodierten Staatssozialismus, dass die Rechtsstaatskonzeption nichts anderes als eine bombastische Phrase sei. Geschuldet war dies in der DDR der Reduktion des Rechts auf seine Instrumentalität. Es war Funktion der Macht, aber nicht deren Maß. Begreift man jedoch den Rechtsstaat und seine anerkannten, verfassungsrechtlich verankerten Grundsätze als Limitierung der Staatsgewalt im Interesse der Bürger, so wird deutlich, dass an ihnen kein Freiheitsweg vorbeiführt. Das Rechtsstaatsprinzip ist ein Strukturprinzip. Es garantiert Rechtssicherheit, sagt aber andererseits nichts über die Rechtsrichtigkeit. Noch immer sind nämlich Rechtsverhältnisse in die Rechtsform übersetzte soziale Machtverhältnisse. Aber die rechtsstaatlichen Grundsätze bieten bessere Möglichkeiten für eine Demokratisierung von Staat und Gesellschaft.

Insofern war es unser politisches Bestreben, nachdem wir mit Bildung der ersten Koalition zwischen SPD und Linkspartei in Brandenburg am 9. November 2009 (!) in das Justizministerium einzogen, wo uns, den Unrechtsstaatsleugnern, eine frostige Atmosphäre entgegenschlug, zur Stärkung des Rechtsstaates beizutragen. Einige herausgehobene Projekte sollen das folgend illustrieren. Wohl wissend, dass in unserer Verfassungsordnung ein Missverhältnis zwischen der Rechts- und Sozialstaatlichkeit besteht.

Die Projekte

Gerichtsstandorte

Es war daher nur folgerichtig, dass wir als eines der ersten Projekte der 5. Wahlperiode das von der alten Landesregierung aus SPD und CDU vorbereitete Konzept zur Schließung von bis zu sieben Gerichtsstandorten in der Fläche des Landes ablehnten, obwohl der Koalitionspartner vehement daran festhielt. Sogar ein ganzer Landgerichtsbezirk stand zur Debatte; alles eingebettet in eine Polizeireform und eine Verwaltungsmodernisierung, die, verfassungsrechtlich sehr bedenklich, auch die Justiz erfassen sollte. Unerwartet gab es auch aus den eigenen Reihen Widerstand gegen den Erhalt einer bürgernahen Justiz im Flächenland Brandenburg – aus finanziellen und Personaleinsparungsgründen.

Demgegenüber vertraten wir den Standpunkt, dass die Justiz nicht unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt werden dürfe. Unser Maßstab war das verfassungsrechtlich verbriefte Recht des Bürgers auf ein zügiges und faires Verfahren, worunter wir in einem Flächenland als bürgernahe Justiz auch kurze Wege zu den Gerichten verstehen. Konflikte sollten dort gelöst werden, wo sie entstanden sind. Zudem war es angesichts rechter und rechtsradikaler Vorfälle in Brandenburg für die LINKEN im Justizministerium undenkbar, sich aus der Fläche zurückzuziehen und den „Rechten“ symbolisch nachzugeben.

Es folgten harte Auseinandersetzungen nicht nur mit dem Koalitionspartner. Am Ende war das von dem durch die LINKE geführten Ministerium erarbeitete „Gesetz zur Neuordnung von Land, Amts- und Arbeitsgerichtsbezirken und zur Änderung von Vorschriften der Gerichtsorganisation“, welches im August 2011 den Brandenburger Landtag erreichte, nicht nur Ausdruck einer zukunftssichernden, modernen, effektiven und bürgernahen, in der Fläche präsenten Rechtspflege, sondern auch der erste Erfolg linker Justizpolitik in Brandenburg, die unverkennbar die unabhängige Justiz und ihre verfassungsrechtlich garantierte Stellung gegen etwaige Einschränkungen zu verteidigen wusste.

Autonomie der Justiz

Es bedarf gerade vor dem Hintergrund entfesselter Finanz- und Wirtschaftssysteme einer Aufwertung der Dritten Gewalt im Sinne einer sozialen und rechtsstaatlichen Entscheidungsmacht. Insofern war es nur konsequent, dass sich Brandenburg auf Bundes- und Landesebene für einen Ausbau der Autonomie der Justiz, wozu auch die Aufhebung des Weisungsrechts der Justizminister gegenüber den Staatsanwaltschaften zählt, einsetzte. Dazu wurde im Frühjahr 2010 die „Projektgruppe Richterliche Selbstverwaltung“ ins Leben gerufen, die zum einen Vorschläge für ein gemeinsames Richtergesetz der Länder Brandenburg und Berlin erarbeiten und zum anderen konkrete Überlegungen zu einer autonomen Justiz anstellen sollte. Ein Erfolg auf diesem Weg war die Novellierung des Brandenburger Richterrechts (2012/19), das mit seinen weitgehenden Mitbestimmungsrechten zu einer Demokratisierung der Justiz beiträgt.

Strafvollzug

Zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen gehört, dass Legislative und Exekutive an den Normbestand der Verfassung gebunden sind. Bereits 1973 leitete das Bundesverfassungsgericht aus dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 GG) den Anspruch des Strafgefangenen auf Resozialisierung ab. Der Gefangene sollte nicht mehr als „Outlaw“, der sich außerhalb der Gesellschaft gestellt hat, begriffen werden. Vielmehr bleibe er Mitglied der Gesellschaft mit einem Anspruch auf soziale Hilfe. Daran anknüpfend hat Brandenburg den Anspruch der Gefangenen auf Resozialisierung 1992 in seine Verfassung aufgenommen (Art. 54). Um diesen Anspruch mit mehr Leben zu erfüllen, erarbeitete das durch die LINKE geführte Justizministerium den Entwurf eines Justizvollzugsgesetzes, der 2013 vom Parlament verabschiedet wurde.

So, wie es schwierig ist, einem Nichtschwimmer das Schwimmen auf dem Trockenen beizubringen, so ist es schwierig, einen Menschen unter den Bedingungen der Unfreiheit zu einem gesetzeskonformen Leben zu befähigen. Der Knast ist nämlich zuerst ein Ort der Fremdbestimmung, der Machtdemonstrationen und Gewalt. Mit dem Gesetz sollten demgegenüber die Resozialisierung und die Rechte der Gefangenen gestärkt werden. Dem dienten beispielhaft die Erhöhung der Besuchszeit, die Senkung der Hürden für Lockerungsentscheidungen, die Schaffung von Wohngruppen oder die Stärkung des Offenen Vollzugs. Frühzeitig muss die Entlassung in den Blick genommen werden, da vor allem Arbeit und Wohnung elementare Voraussetzungen für eine gelingende Wiedereingliederung sind. Mit diesem Gesetz ist Brandenburg bundesweit beispielgebend, auch wenn aus heutiger Sicht vor allem die Ermessenstatbestände nicht konsequent genug reduziert worden sind. Ein zu weites Ermessen der Gefängnisleitung bei Entscheidungen ermöglicht nämlich der Verwaltung, die Intentionen des Gesetzes zu unterlaufen.

Sicherungsverwahrung

Die Sicherungsverwahrung (SV) wird von der LINKEN aus verfassungs- und menschenrechtlichen, humanitären sowie historischen Gründen abgelehnt. Dieses Instrument, das durch seine Nähe zur NS-Gesetzgebung schon vergiftet ist, ermöglicht es, einen Menschen nach Verbüßung seiner nach Tatschwere und Schuld bemessenen Strafe unter Umständen ein Leben lang gefangen zu halten. Ihm wird somit sein Recht auf Freiheit nach Verbüßung der eigentlichen Strafe abgesprochen.

Im Dezember 2009 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass der Vollzug der SV in der BRD, die seit 1998 kontinuierlich verschärft worden ist, menschenrechtswidrig sei. Das eröffnete die Möglichkeit, in der Debatte um die anstehende Neuausrichtung der SV durch Druck von links mit rechtsstaatlichen Argumenten wenigstens zur Entschärfung dieser 1933 in das deutsche Strafrecht eingeführten Sanktion beizutragen. So kritisierte Brandenburg 2010 im Bundesrat den Versuch der Bundesregierung, nur mit kosmetischen Änderungen an den gesetzlichen Grundlagen der SV davonzukommen, scharf und formulierte seine Vorstellungen in fünf Änderungsanträgen zum Gesetzentwurf. Die Anträge fanden zwar keine Mehrheit, aber im Mai 2011 erklärte das Bundesverfassungsgericht mit ähnlichen Argumenten das gesamte Recht der SV für verfassungswidrig und beauftragte den Bundes- und Landesgesetzgeber, die Materie bis zum Mai 2013 neu zu regeln. Dass nun der Vollzug der SV stärker therapie- und freiheitsorientiert auf der Basis eines Landesgesetzes in Brandenburg vollzogen werden kann, ist auch dem rechtsstaatlichen Druck von links geschuldet.

Jugendarrest

Auf dem Feld der strafrechtlichen Sanktionen ist noch ein drittes Beispiel für den Gebrauchswert linker Justizpolitik in Regierungsverantwortung zu nennen, das Brandenburger Jugendarrestvollzugsgesetz (2014). Der Jugendarrest, eine auch auf die Nazigesetzgebung zurückgehende Sanktion, disqualifiziert sich schon durch die hohe Rückfallquote von etwa 70% und gehört somit abgeschafft. Das unterliegt aber nicht der Gesetzgebungskompetenz eines Landes. Den Vollzug des Jugendarrestes hingegen können die Bundesländer regeln. So nahm Brandenburg hier eine Voreiterrolle ein und konzipierte den Arrest nicht als Warnschuss, sondern erzieherisch als stationäres soziales Training und stellte ihn, da er ein gravierender Grundrechtseingriff ist, bundesweit erstmals auf eine gesetzliche Grundlage. Der größte Widerstand gegen das Projekt im Ministerium ging übrigens von der damaligen Abteilungsleiterin Strafvollzug Susanne Hoffmann aus, heute von der CDU gestellte Justizministerin.

Linke Rechtspolitik

Eine der ersten Maßnahmen, die mit Blick auf den Zustand der Fachgerichtsbarkeiten ergriffen wurde, betraf die uns von ihren Zuständigkeiten sehr am Herzen liegende Sozialgerichtsbarkeit. Ausgangspunkt war auch hier der aus dem Rechtsstaatsprinzip erwachsende Justizgewährungsanspruch, also das Recht des Einzelnen auf ein faires und zügiges Verfahren vor einem unabhängigen Gericht, der auch in der Brandenburger Landesverfassung explizit benannt ist, dem deutlich besser Rechnung getragen werden musste. Insbesondere den Betroffenen der unsozialen und darüber hinaus noch handwerklich schlecht gemachten Hartz-IV-Gesetzgebung, musste wenigstens die Chance eingeräumt werden, ihre Bescheide schnell auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen.

Die Lage an den Sozialgerichten war schon angespannt, obgleich die große Klagewelle in den ALG-II-Verfahren (Hartz IV) sogar noch bevorstand. Von 2004 bis 2009 hatten sich die Eingänge bei den Klageverfahren aller Sozialgerichte von 11.613 auf 18.509 erhöht, ohne dass effektiv zusätzliches Personal dauerhaft eingestellt wurde. Insbesondere im sogenannten mittleren Dienst war die Situation von einer übergroßen Anzahl lediglich befristeter Aushilfskräfte geprägt gewesen.

Noch im Dezember 2009 konnte dies durch 28 Entfristungen und sonstige Neueinstellungen – das entsprach weit mehr als ¼ der Beschäftigten in diesem Bereich – nachhaltig geändert werden. Dabei handelte es sich überwiegend um Verträge mit meist in Brandenburg ausgebildeten Justizfachangestellten, womit ihnen auch eine soziale Perspektive gegeben wurde. Wie noch lange später berichtet wurde, waren die Weihnachtsfeiern bei den Sozialgerichten des Jahres 2009 ganz besondere.

Die Situation bei den Sozialgerichten hatte sich damit noch nicht entspannt, da der Höhepunkt der ALG-II-Klagen die Sozialgerichte erst in den Jahren 2011-2013 erreichen sollte und auch später lediglich maßvoll zurück ging. Die Personalausstattung der Sozialgerichtsbarkeit wurde so zu einem Dauerprojekt und stand immer wieder im Focus des politischen Agierens.

Besonderes Augenmerk richteten wir auch auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit; eine Gerichtsbarkeit, die zum einen die subjektiven Rechte der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet. Zum anderen übt sie aber auch eine Herrschaftskontrollfunktion dergestalt aus, sicher zu stellen, dass sich die Exekutive in dem Rahmen hält, der ihr von der Legislative vorgegeben wird.

Sehr erfolgreich, zumindest bis zum massenhaften Anstieg der Asylverfahren, gestaltete sich der Abbau der Altbestände an den Verwaltungsgerichten. Ein Erbe der SPD/CDU Koalition waren dort hohe Bestände und inakzeptable Verfahrenslaufzeiten bei tatsächlich mangelnder Personalausstattung. Um dem entgegenzuwirken wurde zum 1. Oktober 2010 das „Konzept zum Abbau der Altverfahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes Brandenburg“ ins Leben gerufen und wurden junge Richterinnen und Richter aus der Ordentlichen Gerichtsbarkeit für drei Jahre an den Verwaltungsgerichten zum Einsatz gebracht.

Nach Abschluss der Maßnahme Ende September 2013 zeigte sich, dass trotz eines gravierenden Anstiegs der Neueingänge – von 6.129 im Jahre 2010 auf 8.780 im Jahre 2013 – die Altverfahren, also solche, die 21 Monate und älter waren, drastisch reduziert werden konnten. Beim Verwaltungsgericht Potsdam reduzierte sich die Anzahl von 2.255 Verfahren auf 492 Verfahren, beim Verwaltungsgericht Frankfurt Oder von 1.251 auf 444 Verfahren und beim Verwaltungsgericht Cottbus von 438 auf 199 Verfahren. Damit sanken auch die durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten um mehr als 40 Prozent.

Es erwies sich, dass linke Justizpolitik im Land Brandenburg tatsächlich gestalten konnte.

Die Tragweite linker Rechtspolitik über das Land Brandenburg hinaus mag ferner am Beispiel der Prozesskostenhilfe, also der Übernahme von Gerichts- und Anwaltskosten durch den Staat bei Mittellosigkeit, veranschaulicht werden. Dabei entscheidet sich wesentlich, ob der Zugang zu den Gerichten allen gleichermaßen gewährt oder ob Einkommensschwachen der Zugang zum Recht mangels wirtschaftlicher Möglichkeiten faktisch unmöglich gemacht wird.

Im Mai 2013 verabschiedete der Bundestag das sogenannte 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz. Hintergrund war eine zuvor über Jahre hinweg geführte Diskussion um die Forderung der Bundesländer nach Maßnahmen zur Eindämmung des Ausgabenanstiegs im Bereich der Prozesskosten- und Beratungshilfe und eine Verbesserung des Kostendeckungsgrades der Justiz. Ursache war auch, dass, obwohl der Rechtsstaat nicht unter Finanzierungsvorbehalt steht, die Haushalte der Justiz in vermutlich allen Ländern chronisch unterfinanziert waren, obgleich die Justiz über Kosten und Gebühren einen Großteil ihrer Finanzierung selbst aufzubringen vermag.

In den langwierigen und sehr intensiven Verhandlungen zwischen Bund und Ländern nahm das linke Brandenburger Justizministerium eine deutlich vernehmbare, sich von allen anderen wesentlich unterscheidende Position ein: Denkbar waren nur sozial ausgewogene Änderungen der Prozesskosten- und Beratungshilfe, niemals einseitig zulasten von sozial Schwachen. Nicht nur sozialpolitische, auch verfassungsrechtliche Argumente konnten in die Diskussionen eingeführt werden. So urteilte sinngemäß im Februar 2010 das Bundesverfassungsgericht, der Justizgewährungsanspruch und das Sozialstaatsgebot beinhalten ein unverfügbares Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, welches auch im Recht der Prozesskostenhilfe unbedingt zu beachten sei. Im Recht seien alle gleich und niemand dürfe gezwungen werden, zur Verfolgung eigener Rechte sein Existenzminimum einzusetzen.

Das Ergebnis war sicher ein Kompromiss, aber ein außerordentlich beachtlicher. Letzte Änderungen wurden sogar auf Druck Brandenburgs im direkten Austausch mit der damaligen Bundesjustizministerin noch während des Gesetzgebungsverfahrens des Bundestages erreicht. Brandenburgs linke Positionen fanden sich erkennbar in dem am Ende verabschiedeten Gesetz wieder, so dass selbst die damalige Bundesjustizministerin den Gesetzentwurf als sozial ausgewogen bezeichnete.

LINKE als Korrektiv neoliberaler Sicherheitspolitik

Im Strafrecht ist seit den 90er Jahren ein schleichender Paradigmenwechsel vom Ideal eines (rechtsstaatlichen) fragmentarischen Strafrechts hin zum Versprechen lückenloser Sicherheit durch Prävention zu beobachten. Kriminologen sprechen von einem Übergang von der „post-crime logic“ zu einer „pre-crime logic“.

Dieser Übergang zeigt sich in einer allmählichen Verdrängung des freiheitlich verfassten Schuldstrafrechts durch ein präventiv und polizeilich orientiertes Sicherheitsstrafrecht. In diesem Kontext produziert der Bundestag zunehmend unbestimmte Strafrechtsnormen. Gleichzeitig dient die Produktion von Strafgesetzen der Politik nicht nur der realen Strafverfolgung, sondern wird für die symbolische Demonstration von (scheinbarer) Handlungsfähigkeit, Werten, Macht und Einfluss missbraucht. Es gibt kaum gesellschaftliche oder soziale Probleme, für die nicht strafrechtliche Lösungen angeboten werden. Strukturveränderungen hingegen geht die Politik in der Regel nicht an. Gesellschafts- und Sozialpolitik wird durch eine Strafrechtspolitik zu Lasten der Grundrechte ersetzt. Die Justiz hingegen wird mit präventiv-gestaltenden Steuerungsaufgaben überfordert. Durch beide Phänomene verstößt der Gesetzgeber gegen das Fundament des Rechtsstaates, nämlich das Gesetzlichkeitsprinzip und den Gewaltenteilungsgrundsatz.

Gegen diese Tendenzen musste (und muss) linke Justizpolitik als Korrektiv wirken und verdeutlichen, dass weder gesellschaftliche noch individuelle Änderungen durch Strafverschärfungen zu erreichen sind. Ob z.B. Dopingbekämpfung im Sport, der Schutz von Stalkingopfern oder die Bekämpfung des Terrorismus – neue oder höhere Strafen bewirken nicht mehr Schutz oder weniger Kriminalität, da es eine solche Kausalität gerade nicht gibt.

LINKE Justizpolitik als Gegenentwurf

Die LINKE muss Grund- und Persönlichkeitsrechte konsequent schützen, durchsetzen und ausbauen, mit dem besonderen Fokus auf das Sozialstaatsprinzip und die Menschenwürde. Sie darf vor allem nicht in den Ruf nach mehr und härteren Strafen einstimmen. Vielmehr muss sie die liberale, rechtsstaatliche Funktion des Strafrechts, staatliche Eingriffe zu begrenzen, verteidigen.

Das Strafrecht besteht eben nicht nur aus Strafandrohungen, sondern auch aus der Sicherung von Verfahren und der Zusage von Garantien für die in diesen Verfahren Handelnden. Eine grundrechtsorientierte Kriminalpolitik ist gefragt, die auch Alternativen zur überkommenen staatlichen Strafe, die eine bessere präventive Wirkung entfalten, stärkt. Ein Beispiel dafür ist der Täter-Opfer-Ausgleich. Daneben muss das Kriminalitätsphänomen immer wieder in den sozialen Kontext gestellt werden. Das Hauptaugenmerk bei der Kriminalpolitik muss auf strukturelle Benachteiligungen im ökonomischen, sozialen und erzieherischen Institutionsgefüge der Gesellschaft gelegt werden. Nicht mehr Repression, sondern mehr Prävention war unser Credo in den rechtspolitischen Auseinandersetzungen.

Auf anderen Rechtsgebieten müssen die Instrumentarien des Rechtsstaates konsequent genutzt werden. Ein Gericht muss z.B. zügig entscheiden können, ob Ansprüche des Bürgers bestehen oder ob Leistungskürzungen oder Investitionsvorhaben hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit rechtmäßig sind.

Nur dafür braucht es für Gerichte, Staatsanwaltschaften und für den resozialisierenden Strafvollzug das notwendige, gut qualifizierte Personal. Es sollte auf der Hand liegen, dass das Ergebnis einer solchen linken Justizpolitik ein wesentlicher Gewinn für die gesamte Gesellschaft ist.

Spardiktat und Öffentlicher Dienst

Als „Eintrittskarte“ für die Regierungsbeteiligung 2009 wurde die Reduzierung der Beschäftigten in der Landesverwaltung auf ca. 40.000 durchaus zutreffend bezeichnet. Dem lagen vor allem die düsteren Aussichten bei den Landesfinanzen zugrunde.

So ging man sogar noch im Januar 2011 für das Jahr 2014 von einem Haushaltsvolumen von 9,556 Mrd. Euro aus. Im Vergleich dazu betrug das veranschlagte Haushaltsvolumen für das abgelaufene Jahr 2010 noch 10,511 Mrd. Euro. In allen Bereichen, vor allem bei Justiz und Polizei sollten Stellen in erheblichem Maße eingespart werden. Eine Haushaltskonsolidierung und radikale Einsparungen schienen unumgänglich.

Die Rahmenbedingungen in den folgenden Jahren änderten sich jedoch gravierend. Wider Erwarten stiegen die Steuereinnahmen des Landes erheblich. Dies führte für 2014 zu einem Haushaltsvolumen von 10,654 Mrd. Euro, also über eine Milliarde Euro mehr als drei Jahre zuvor angenommen, ohne neue Kredite aufzunehmen. Zudem wurden ab Juli 2015 die Einnahmen bei einer wesentlichen Landessteuer durch Anhebung der Grunderwerbssteuer erhöht. Die günstigen konjunkturellen Entwicklungen und die stabil hohen und weiter steigenden Steuereinnahmen führten nicht nur zu einer Rücklage bei den Landesfinanzen von weit über 2 Milliarden Euro. Auch darüber hinaus waren die Bedingungen zur Umsetzung sozialer linker Politik in Brandenburg so glänzend wie nie.

DIE LINKE beging hier ihren Kardinalfehler als Regierungspartei in Brandenburg. Unfähig, aus Fehlern anderer Regierungsbeteiligungen zu lernen, gänzlich im Gegensatz zu linker Politik auf Bundesebene und zu dem, was man selbst auf der harten Oppositionsbank vertreten hat, wurde „die schwarze Null“ als Inbegriff linker Politik in Brandenburg glorifiziert. Das Land sozial gestalten, ja nachhaltig verändern zu wollen, wurde auf einzelne Leuchtturmprojekte beschränkt und so weitgehend aufgegeben. Investitionen in Infrastruktur, in Bildung, in die Beschäftigten, in soziale Institutionen und Projekte standen immer unter Finanzierungsvorbehalt.

Politisch gescheitert sind wir letztlich damit am eigenen Anspruch. Für eine solidarische Partei ungewöhnlich wurde zudem gefordert, Mehrausgaben an einer Stelle immer durch Einsparungen an anderer Stelle auszugleichen mit der Folge von Verteilungskämpfen. Nicht selten traf es dabei LINKE Ministerkollegen, denen dann, so sie die Einsparvorgaben nicht mittragen konnten oder politisch wollten, unsolidarisches Verhalten vorgeworfen wurde.

Konterkariert wurden so auch bereits erzielte Erfolge bei den Fachgerichtsbarkeiten, insbesondere in der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch das unzureichende personelle Nachsteuern aufgrund des dramatischen Anstiegs vor allem der Asylverfahren in den Jahren 2016 und 2017. Erst auf massiven Druck aus dem Ministerium, dem Landtag und aus der Gerichtsbarkeit selbst, wurden, vor allem mehrfach über einen Sonderweg im Haushaltsausschuss des Landtages Brandenburg, neue Stellen geschaffen. Um den verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein zügiges Verfahren zu gewährleisten und der Anhäufung von Altverfahren entgegenzuwirken, geschah dies gleichwohl deutlich zu spät.

Letztlich hat die LINKE damit die Möglichkeit weitgehend verpasst, hier politische und tatsächliche Handlungsfähig- und Gestaltungswilligkeit zu demonstrieren, vor allem bei einem Thema, welches man dankbar zur politischen Profilierung hätte aufgreifen können.

Diese Art von Austeritätspolitik fand eine bemerkenswerte Zuspitzung in den Informationen des Finanzministeriums über den politischen Gestaltungsspielraum. Ob Landesregierung, Landtagsfraktionen oder Partei, regelmäßig wurde Brandenburg als finanziell de facto handlungsunfähig dargestellt, ungeachtet der jährlich rasant steigenden Einnahmen, der vorgenommenen Schuldentilgungen und der gleichwohl evident steigenden Rücklagen. Eigentlich waren alle Haushaltsmittel schon längst ausgegeben und jegliches fachliche und politische Hinterfragen wurde grundsätzlich als persönlicher Affront gebrandmarkt.

Die Folgen für den Rechtsstaat und für LINKE Justizpolitik waren verheerend. Trotz deutlicher Korrekturen zum Ende der letzten Wahlperiode war es nur im Ansatz möglich, den Koalitionsvertrag zwischen SPD und LINKEN im Bereich der Justiz umzusetzen. Durch das prinzipielle Festhalten am Stellenabbau, weitgehend losgelöst von verfassungsrechtlichen Vorgaben und gesetzlichen Notwendigkeiten, wurden wir insbesondere bei den Kernthemen linker Politik, wie die humanitäre Gestaltung des Strafvollzugs und die akzeptable Personalausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Im Strafvollzug wurde so die Umsetzung der deutschlandweit modernsten Landesvollzugsgesetze gefährdet.

Nur zu einem geringen Teil ist uns denn auch innerhalb der Landesregierung der Verzicht auf sachgrundlos befristete Beschäftigungsverhältnisse gelungen, was angesichts des guten Startes Ende 2009 innerhalb des Justizressorts besonders misslich ist. Getragen von der entsprechenden bundesweiten Kampagne der LINKEN waren die Hoffnungen groß. Schließlich zeigte die Praxis, dass viele dieser Arbeitsverhältnisse für dauerhaft anfallende Tätigkeiten geschlossen wurden. Es bedarf aber mehr als nur das politische Propagieren, dieses Instrument abschaffen bzw. darauf verzichten zu wollen. Es hätten vor allem die stellenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Umsetzung solcher Forderungen geschaffen werden müssen. Am Ende steht und fällt damit auch die eigene Glaubwürdigkeit.

Resümee

Die LINKE ist eine Rechtsstaatspartei und hat dies bewiesen.

Nachholbedarf besteht aber da, wo es um das Erkennen des Werts linker Justizpolitik für linke Politik allgemein, für soziale Gerechtigkeit, für Bildungsgerechtigkeit, für die Zähmung neoliberaler und kapitalistischer Auswüchse geht. Dies erfordert nicht nur das notwenige Wissen, sondern vor allem den Mut, das Grundgesetz und das bestehende Recht links zu interpretieren und sich der Erosion des Rechtsstaates durch eine populistische Politik entgegenzustellen. Es erfordert noch mehr Mut, in Regierungsverantwortung konsequent linke Politik in Recht umzusetzen.

Linke Justizpolitik muss deutlich stärker als Mittel und Hebel genutzt werden, um die Gesellschaft sozial gerecht zu ändern, die Bürger, auch vor ungerechtfertigten Eingriffen des Staates zu schützen, ihnen soziale und rechtsstaatliche Sicherheit zu geben. Den demokratischen und sozialen Rechtsstaat links, innovativ und mutig zu gestalten, darf für uns LINKE keine Utopie, kein Wahlversprechen, keine Vision bleiben. Nicht Austerität, sondern vor allem Menschenwürde und Sozialstaatsprinzip müssen die Leitlinien jeder linken Politik bleiben. Linke Justiz- und Rechtspolitik muss dabei innerhalb der Bundesrepublik so selbstverständlich die Basis, die Maxime und der Maßstab sein, wie das Völkerrecht außenpolitisch.

Der Kampf gegen eine im bürgerlichen Gewand daherkommende Rechtsnationalisierung der gesellschaftlichen Mitte und damit der Kampf gegen die AfD und ihren billigen Populismus kann so deutlich erfolgreicher geführt werden.
Zur Profilschärfung der LINKEN als Partei der Schwachen, der Ausgegrenzten aber auch als Partei der Bürgerrechte, der Grund- und Persönlichkeitsrechte, insbesondere im Digitalen Zeitalter, muss linke Justiz- und Rechtspolitik wesentlich weiter in den Mittelpunkt der politischen Arbeit gerückt werden.

Zehn Jahre linke Justizpolitik in Brandenburg waren keine verlorenen Jahre, weder für die Gesellschaft noch für die Partei. Mit mehr Mut hätte die LINKE jedoch den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt signifikant stärken und die Gesellschaft sozial deutlich gerechter gestalten können.

Für die Zukunft möge es frei nach Ernesto „Che“ Guevara lauten: Seien wir mutig, versuchen wir das Unmögliche.

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