Erste Lesung der Novelle des Polizeigesetzes
Die Rollen waren klar verteilt. Die CDU kritisierte den vom Kabinett eingebrachten Entwurf für ein novelliertes Brandenburger Polizeigesetz als „völlig unzureichend“ und Kniefall des Innenministers vor der LINKEN. Er lasse die Polizei im Regen stehen. Die AfD forderte sogar die martialische Aufrüstung der Polizei (z. B. mit Maschinengewehren). Es fehlte nur noch, dass ihr Redner die Einführung eines „Landessicherheitshauptamtes“ gefordert hätte. Von links kritisierte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, unberührt davon, dass in Baden-Württemberg und Hessen schärfere Gesetze mitgetragen werden, die immer noch im Gesetz geregelten schweren Grundrechtseingriffe. Der Innenminister sieht in dem Entwurf, der aufgrund des „politisch motivierten“ Extremismus, der jeden gefährden könne, notwendig sei, als Kompromiss zwischen den bürgerlichen Freiheitsrechten und den Eingriffsbefugnissen der Polizei. Hans-Jürgen Scharfenberg betonte für DIE LINKE, dass es zuvorderst immer noch um soziale Sicherheit gehe. Zudem hob er hervor, was sich an dem im Januar vom Innenministerium vorgelegten Referentenentwurf unter Einfluss der LINKEN verändert habe. Es ginge darum, die Eingriffsbefugnisse der Polizei auf das „zwingend Notwendige“ zu begrenzen.
Vor dem Schlimmsten bewahrt
In der Tat: Gegenüber der beschriebenen Ausgangslage (siehe „Die unbegrenzte Prävention“, in „Widerspruch“, September 2018) hat sich einiges verändert. Die Online-Durchsuchung und die elektronische Fußfessel für „Gefährder“ wurden aus dem Entwurf gestrichen. Der Einsatz von Sprengmitteln, jetzt „Explosivmittel“, durch die Polizei ist so gut wie ausgeschlossen. Auch auf die molekulargenetische
Untersuchung zur Identitätsfeststellung wurde verzichtet.
Ein Kompromiss ist die Regelung zur Quellen-TKÜ, also zum Einsatz eines Trojaners zum Auslesen verschlüsselter Nachrichten. Sie ist eng gefasst, beschränkt auf Terrorverdächtige und steht unter richterlichem Vorbehalt. Die Schleierfahndung, die bisher im grenznahen Raum gestattet ist, soll auf Hauptstraßen außerhalb der Grenznähe ausgedehnt werden. Das Innenministerium wollte dagegen ihre Zulassung in ganz Brandenburg. Die Präventivhaft, die Einsperrung ohne Tat, Anklage und Urteil, ist gegenwärtig bis zu vier Tagen möglich. Für Terrorverdächtige soll sie nun auf zwei Wochen, mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere zwei Wochen, auf Grundlage einer richterlichen Entscheidung verlängert werden.
Noch genug Kritikpunkte enthalten
Problembehaftet sind darüber hinaus u. a. die geplante Einführung von sogenannten Bodycams für Polizisten (deren Einsatz in Wohnungen jedoch ausgeschlossen ist), die Erteilung von Meldeauflagen, wenn vermutet wird, der Betroffene könne Straftaten nach dem Versammlungsgesetz begehen, und die Verlängerung der Speicherfrist von 48 Stunden auf zwei Wochen bei der Videoüberwachung. Kritisch zu sehen ist auch der Anknüpfungspunkt für das Verhängen von Aufenthalts- und Kontaktverboten gegen „Gefährder“ durch
die Polizei. Denn hier wird inhaltlich an den weit vorgelagerten Begriff
der „drohenden Gefahr“ angeknüpft. Dieser Begriff ist höchst umstritten, da mit ihm ein weiterer Schritt ins Vorfeld einer vielleicht zu begehenden Straftat erfolgt. Gegen seine Verwendung im bayrischen Polizeigesetz (statt der üblichen „konkreten Gefahr“) klagen mehrere Bundestagsfraktionen, auch DIE LINKE, vor dem Bundesverfassungsgericht.
Es ist unbestritten: Durch den Einfluss der LINKEN ist der Gesetzentwurf erheblich entschärft worden. Insofern hat die Partei auch ihren Gebrauchswert in der Regierung unter Beweis gestellt. Trotzdem schlägt ihr auch aus der Basis der Partei und einem breiten Bündnis gegen ein neues Polizeigesetz heftige Kritik entgegen. Die Kritiker, unter ihnen auch der Autor dieser Zeilen, sehen die Erforderlichkeit dieser Novelle nicht. Sie ist eine typische „Anlassgesetzgebung“, die das Verhältnis zwischen Prävention und Rechtsstaatlichkeit weiter in Richtung ersterer verschiebt und viel Symbolpolitik beinhaltet. Rechtsstaat wird dabei als Limitierung der Staatsgewalt im Interesse der Bürger verstanden, der u. a. die Bindung von Exekutive und Gesetzgebung an die Grundrechte dient.
Trotzdem: Dilemma der Partei
Dass nun die beiden Positionen, einerseits der Versuch, das Schlimmste (hier erfolgreich) zu verhindern, andererseits im Sinne einer negativen Reform (Thomas Mathiesen) konsequent Nein zu sagen, aufeinanderprallen, ist auch dem Dilemma der Partei geschuldet. Zwar ist im Koalitionsvertrag eine Novellierung des Polizeigesetzes festgeschrieben, aber eine inhaltliche Untersetzung fehlt. Es gibt keine Positionierung unsererseits, wie das Polizeigesetz zu verändern ist. Denkbar wären ja auch die Einführung einer Beschwerdestelle, die u.a. Zugriff auf die Bodycam-Aufnahmen haben müsste, oder die Halbierung der Präventivhaft auf zwei Tage, wie es gerade in Berlin diskutiert wird. Aber auch als die innenpolitischen Sicherheitsstrategen als Reaktion auf das Berliner Attentat daran gingen, die Polizeigesetze zu verschärfen, um Handlungsfähigkeit zu Lasten der Rechtsstaatlichkeit zu demonstrieren, hat DIE LINKE verabsäumt, politisch zu klären, wie sie einem solchen Ansinnen in Brandenburg gegenübersteht. Natürlich kann man sich der politischen Debatte nicht entziehen. Aber man kann die weitere Stärkung einer Sicherheitsgesellschaft mit den guten Argumenten des Parteiprogramms der LINKEN konsequent ablehnen (was die Auffassung des Autors ist) oder sich in gewisser Weise auf die Logik der Scharfmacher einlassen,
um das Übelste zu verhindern. Die nächste Station im Gesetzgebungsverfahren ist die Anhörung von Sachverständigen am 8. Januar im Innenausschuss. Danach wird sich zeigen, ob der Entwurf noch im Sinne der Bürgerrechte weiter qualifiziert werden kann.
Publiziert im Widerspruch Dezember 2018/Januar 2019, Seite 4.