Plenum, Tag der Befreiung

8. Mai: Gedenktag für Opfer und Befreier

Bild © Jürgen Angelow

Anlässlich des diesjähren Tag der Befreiung eine Rückschau auf Dr. Volkmar Schöneburgs Plenumsrede vom 29. April 2015 zur Änderung des Feiertagsgesetzes. Seit dem Jahr gilt der 8. Mai als offizieller Gedenktag in Brandenburg.

Am 10. Juni 2013 hielt der bekannte bemerkenswerte Publizist und Schriftsteller Ralph Giordano eine aufsehenerregende Rede in Berlin. Die Rede hielt er im Zu-sammenhang mit der Präsentation erster Forschungsergebnisse zu den Verstri-ckungen des Bundesjustizministeriums mit der NS-Vergangenheit.

In dieser Rede, die er mit „Der perfekte Mord“ überschrieb, brachte er eine Cha-rakterisierung der NS-Gewaltherrschaft, die etwa so lautet: Die NS-Gewaltherrschaft war das größte geschichtsbekannte Verbrechen mit Millionen und Abermillionen Toten, Opfern, die zu großen Teilen hinter der Front wie In-sekten hingemordet wurden.

Wir haben alle an den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung der Kon-zentrationslager, der Zuchthäuser in Brandenburg von den Spuren, die dieser perfekte Mord in Brandenburg hinterlassen hat, Kenntnis genommen. Drei Bei-spiele will ich kurz skizzieren:

Das erste Beispiel sind die Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück. Sie stehen für Massenvernichtung, Massenmord an Juden, an Sinti und Roma, an sowjetischen Kriegsgefangenen, an Häftlingen aus den besetzten, okkupierten Ländern. Uns ist dort vor Augen geführt worden, wie in dem „Programm“ der Vernichtung durch Arbeit von der NS-Ideologie als minderwertige Gruppen titu-lierte Menschen umgebracht worden sind. Zu nennen sind hier die sogenannten Asozialen, die Sicherungsverwahrten oder Homosexuelle, die nicht in die Ideologie der Reinhaltung der deutschen Volksseele passten. Wir haben erfahren von massiven systematischen medizinischen Versuchen an Menschen und von der Ausbeutung der KZ-Häftlinge für die deutsche Industrie.

Zweites Beispiel: Brandenburg-Görden steht mit der damaligen Nervenheilanstalt – des heutigen psychiatrischen Krankenhauses – für den tausendfachen Mord an sogenanntem unwertem Leben im Zusammenhang mit der „Euthanasie“-Aktion „T 4“. 9 000 Todesopfer sind dort in Brandenburg dokumentiert.

Als Drittes möchte ich auf das Zuchthaus Brandenburg verweisen, 1927 als „Neues Reformzuchthaus“ dem Resozialisierungsgedanken verpflichtet konzipiert und unter den Nazifaschisten zu einem Gefängnis mit Schwerpunkt der politisch ver-folgten Häftlinge und als zentrale Hinrichtungsstätte „umgewidmet“. 2 000 To-desurteile sind dort mit der Guillotine vollstreckt worden, 1 800 davon gegen aufgrund ihrer politischen und religiösen Überzeugung Inhaftierte.

60 Prozent der Häftlinge im Zuchthaus Brandenburg waren Angehörige des aktiven Widerstandes, in erster Linie der Kommunistischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, der SAP, der KPO, des Reichsbanners, der Schwarzen Front, weil diese Gruppierungen schon nach 1933 in den aktiven Widerstand gegen die NS-Herrschaft getreten waren und deswegen das Gros in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern in den 30er-Jahren ausmachten.

Diese Beispiele stehen dafür, dass das NS-Regime von seinem Wesen her die Durchsetzung einer Rassen- und Herrenmenschenideologie mit der letztendlichen Konsequenz des staatlich organisierten planvollen Völkermordes war. Diese Gewaltherrschaft ist nicht vom Himmel gefallen, kam nicht von ungefähr. Sie hat sich angedeutet und hängt auch damit zusammen, dass die Demokratie von Weimar versagt hat, dass die Sozialstruktur bzw. die Funktionseliten der Weimarer Republik der Republik feindlich, ablehnend gegenüberstanden und die NSDAP 1933 auch ein Bündnis mit wesentlichen Kräften des Managements der Wirtschaft einging.

Von dieser Gewaltherrschaft, die ich nur hier kurz skizziert habe, sind wir spä-testens am 8. Mai 1945 befreit worden. Und nicht nur meine Urgroßmutter, die noch mit 70 Jahren nach dem 20. Juni 1944 für „würdig“ befunden wurde, als Widerständlerin ins KZ Ravensbrück verschleppt zu werden, hat das als Befreiung angesehen, sondern es war eine objektive Befreiung des deutschen Volkes von dieser verbrecherischen Herrschaft, von einem Staat, einem Staatsgefüge, das das Verbrechen zum Staatsziel erhoben hatte.

Deswegen ist es angebracht, mit dem heutigen Gesetzentwurf die Möglichkeit zu schaffen, der Opfer dieses Gewaltregimes zu gedenken, aber auch der Befreier, der verbündeten Alliierten -und dort an hervorgehobener Stelle der Roten Armee -, der damaligen Sowjetunion und heute stellvertretend den Völkern der ehemaligen Sowjetunion, die den höchsten Blutzoll für die Befreiung Nazi-deutschlands von dieser Diktatur gezahlt haben.

Der Schwur von Buchenwald „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ ist das Vermächtnis. Es sollte uns auch dazu bringen, in den heutigen internationalen Auseinandersetzungen auf friedliche Konfliktlösungen zu rekurrieren und die Leistungen der früheren Sowjetvölker bei der Befreiung Deutschlands vom Nazi-faschismus nicht vor dem Hintergrund aktueller Konflikte zu relativieren. Das ist nicht angebracht.

Der Schwur von Buchenwald hat aber eine weitere, eine innenpolitische Dimen-sion: Nie wieder Faschismus! Ralph Giordano hat in seiner Rede seinem Entsetzen Ausdruck verliehen, dass es in den 90er-Jahren und den Jahren danach in Deutschland möglich war, dass sich eine nazifaschistische Jugendgang zwölf Jahre lang – quasi spazierengehenderweise – mordend durch Deutschland bewegen konnte und das nicht zur Kenntnis genommen wurde und die Sicherheitsorgane nicht entsprechend reagiert haben.

Es ist zu verzeichnen, dass der Rechtsextremismus seine Tentakel mittlerweile bis in die Mitte der Gesellschaft ausstreckt, dass es in der Bevölkerung Zustimungsraten im zweistelligen Bereich gibt, dass Jugendliche, die nicht als Anti-semiten oder Ausländerfeinde geboren wurden, antisemitische oder ausländer-feindliche Parolen auf den Lippen führen und Molotowcocktails auf Asylbewer-berheime werfen.

Die Zerstörung der Menschenwürde war das Regierungsprogramm der Nationalsozialisten. Die Antwort der deutschen Nachkriegsgeneration war Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Artikel 1 des Grundgesetzes ist nur im Zusammenhang mit den Artikeln 20 und 28 zu lesen: dem Verfassungsauftrag vom demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Diese Formel wurde übrigens 1930 vom sozialdemokratischen Staatsrechtslehrer Hermann Hel-ler als Gegenprogramm zum aufkommenden Faschismus entwickelt. Er sah in seiner Schrift „Rechtsstaat oder Diktatur“ die sozialen Widersprüche, die zum Faschismus geführt haben. Das ist von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes aufgegriffen worden.

Wir wissen mittlerweile aus vielfältigen Studien – unter anderem der zehnbändigen Studie von Heitmeyer und anderenzu den deutschen Zuständen -, dass dort, wo wir den sozialen Rechtsstaat verfehlen oder Probleme haben, die braune Brut an Boden gewinnt. Auch der Satz von der Gewährleistung der Menschenwürde kam nicht ins Grundgesetz, weil sie bei uns überall garantiertwäre, sondern weil sie vielfältigen Verletzungen und Gefährdungen ausgesetzt ist. Deshalb ist es eine Rechtsnorm; sie muss entsprechend eingefordert werden.

Wir wissen, dass gerade dort, wo wir den sozialen Rechtsstaat verfehlen, Minori-täten gefährdet sind, in ihrer Menschenwürde verletzt zu werden: Homosexuelle – darüber haben wir letztes Mal diskutiert -, Obdachlose, vielleicht auch Hartz-IV-Empfänger oder Gefangene. Deswegen – das ist die aktuelle Dimension – soll uns ein solcher Gedenktag für die soziale Demokratie und ihre Verteidigung sensibilisieren, dafür, uns für den Ausbau der sozialen Demokratie einzusetzen und für Toleranz und Humanismus zu streiten.

Ich will meine Ausführungen mit einem Zitat von Fritz Bauer beenden. Fritz Bauer war hessischer Generalstaatsanwalt der 60er Jahre, der den Auschwitz-Prozess organisiert hat – gegen den Widerstand der übernommenen herrschenden Justizeliten. Von ihm stammt der Ausspruch, immer wenn er sein Arbeitszimmer verlasse, habe er das Gefühl, dass er feindliches Ausland betrete. Dieser Fritz Bauer sagte, „dass der Humanismus Don Quijoterie bleibt, wenn er nicht untersetzt ist durch eine Wirtschaftspolitik, eine Sozialpolitik und eine Erziehungspolitik im Sinne des Humanismus.“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

10. Sitzung des Brandenburger Landtags / 29. April 2015 / Link