In der Gefangenenzeitung DISKUS 70 der Justizvollzugsanstalt Bremen ist kürzlich ein Interview mit dem ehemaligen Justizminister des Landes Brandenburg, Volkmar Schöneburg, erschienen.
Darin verweist Schöneburg auf das Buch „Das Knast-Dilemma“ von Bernd Maelicke, nach dem „bereits jetzt 70 Prozent der Inhaftierten nicht ins Gefängnis gehören. Es sind oft Täter aus der Unterschicht mit leichter und mittelschwerer Eigentums- und Vermögenskriminalität, für die das Gefängnis, weil unwirksam, zum „Drehtürvollzug” wird. Für viele von ihnen wäre ein frühzeitiger Täter-Opfer-Ausgleich bedeutend sinnvoller gewesen als eine Freiheitsstrafe.“
Folgend ein Paar weitere Themen, die in dem Interview angesprochen wurden:
Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe
DISKUS: Unter dem Titel „Strafvollzug und Resozialisierung – ein Paradoxon?! Konferenz der Fraktion DIE LINKE” haben Sie im Frühjahr zu einer kritischen Bewertung des Strafvollzuges eingeladen. Ein Thema dieser Konferenz waren die Ersatzfreiheitsstrafen. Bedarf es einer Reform der „Geldstrafe”?
Schöneburg: Nach meiner Auffassung ist die Ersatzfreiheitsstrafe, abzuschaffen. Sie ist unsozial, ungerecht und kontraproduktiv. Die Betroffenen, die etwa 10 Prozent der Gefangenen ausmachen, sind meist arbeits- und mittellose Menschen, die nicht selten alkohol- und drogenabhängig sind oder über keinen festen Wohnsitz verfügen. Viele zeichnet eine fehlende Handlungskompetenz aus. Die ihnen zur Last gelegten strafbaren Handlungen zählen vor allem zur Armutskriminalität im Bagatellbereich. Die Verurteilten sind oft nicht zahlungsunwillig, sondern zahlungsunfähig. Die fehlende Tatschwere schließt bei ihnen ja gerade das Gefängnis, in dem sie nur funktionslos verwahrt werden, aus. Bei denjenigen, die lediglich zahlungsunwillig sind, müssten die Geldstrafen ausschließlich mit zivilrechtlichen Mitteln eingetrieben werden. Bei erwiesener Zahlungsunfähigkeit sollten hingegen die sozialen Probleme bearbeitet werden.
Konfliktlösungen ohne Wegsperren sind nötig und möglich
DISKUS: Das Strafsystem hat im Hinblick auf wirkliche Reformen etwas Unantastbares an sich. Dies gilt besonders für die Menschen, die darin leben. Wahrscheinlich auch für jene, die darin oder daran arbeiten, wenn auch aus anderen Gründen. Glauben Sie, dass Politik und Gesellschaft jemals einen vernünftigen, menschlichen und wissensbasierten Umgang mit Strafe erlernen können?
Schöneburg: Ich bin da durchaus optimistisch. Nimmt man eine historische Perspektive ein, ist das jetzige Strafsystem gar nicht so in Stein gemeißelt. Im Mittelalter hatten wir den Inquisitionsprozess und die fürchterlichen, sadistischen Leibesstrafen. Die Gefängnisstrafe setzt sich erst im 18. Jahrhundert durch. Lassen wir den Blick zurück in die vorstaatlichen Gesellschäften schweifen, so finden wir dort ein Konfliktlösungsmodell, das auf Verhandlung der am Konflikt Beteiligten und auf Schlichtung angelegt ist. Warum soll nicht die bei uns erfolgte Enteignung der Konfliktparteien wenigstens teilweise rückgängig gemacht werden? Die überwiegende Zahl von Konflikten kann dort gelöst werden, wo sie entstehen, im und durch das soziale Umfeld von Schädiger und Geschädigtem, orientiert an Wiedergutmachung und Entschuldigung. Das wäre allemal auch präventiv wirksamer als das Wegsperren.
Zum ganzen Interview.
Quelle: 70 Prozent der Inhaftierten gehören nicht ins Gefängnis. Über das Erbe unserer Affenzeit, das MG und die Föderalismusreform. Ein Interview mit Volkmar Schöneburg. In: Diskus . 70, Gefangenenzeitung der JVA Bremen, 2/2017.