Anmerkungen zur geplanten Novelle des Brandenburger Polizeigesetzes
“Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren.” (Benjamin Franklin)
Von Dr. Volkmar Schöneburg
Ausgangspunkt war der grausame terroristische Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016, dem zwölf Menschen zum Opfer fielen. Seitdem ist, obwohl das Attentat bei Vollzug bestehender Gesetze hätte verhindert werden können, eine hektische Betriebsamkeit bei der Novellierung der Polizeigesetze des Bundes und der Länder zu beobachten.
Bundesländer überbieten sich in Gesetzesverschärfungen
Am Anfang stand die Änderung des BKA-Gesetzes (BKA = Bundeskriminalamt). Dem folgte im Sommer 2017 Bayern mit der Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (Fußfessel) und der unbegrenzten Präventionshaft, also einer Inhaftierung ohne Tat, Anklage, Prozess und Urteil. Ende 2017 verabschiedete Baden-Württemberg unter Führung der Grünen eines der schärfsten Polizeigesetze. Im Mai diesen Jahres sattelte Bayern noch einmal drauf. Gegenwärtig werden Regierungsentwürfe u. a. in Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Niedersachsen und eben auch Brandenburg diskutiert. Lediglich Thüringen hat erklärt, dass es in dieser Legislaturperiode kein neues Polizeigesetz erarbeiten werde. In Bayern, wo mehr als 30 000 Menschen gegen das Gesetz demonstrierten, Nordrhein-Westfalen, wo mehr als 10 000 Gegner des Entwurfs auf die Straße gingen, und Sachsen haben sich breite Bündnisse gegen die Verschärfung des Polizeirechts gebildet.
Die Begründungen für die Gesetzesinitiativen der Länder ähneln sich wie ein Ei dem anderen. Vor allem wird auf eine vermeintlich neue, beängstigende Sicherheitslage abgestellt. Dabei wird insbesondere auf die Gefahren durch den islamistischen Terrorismus verwiesen, die sich in der zunehmenden Zahl von sogenannten Gefährdern zeige. Das hindert die Gesetzgeber jedoch nicht daran, viele der neuen Instrumente nicht auf zu verhindernde terroristische Taten zu beschränken. Der Terrorist als Gesetzgeber, so umschrieb der Journalist Heribert Prantl dieses Phänomen.
Das Zauberwort der Innenpolitiker ist dabei das der Prävention, der Gefahrenabwehr. Sie ist neben der Strafverfolgung eine der Polizeiaufgaben. Das Gefahrenabwehr-Konzept leitet seine Überzeugungskraft ausschließlich aus dem Paradigma von Sicherheit und Sicherheitsbedrohung her. Die Freiheitsrechte werden zwar verbal respektiert, um sie dann jedoch in den Bedrohungsszenarien gefährdeter Sicherheit herabzusetzen. Was ist der Datenschutz, was ist die Privatsphäre, was ist die Trennung von Geheimdiensten und Polizei, was ist die Unverletzlichkeit der Wohnung, was ist das Recht auf Freizügigkeit, was ist das Recht auf persönliche Freiheit oder informationelle Selbstbestimmung denn wert angesichts schrecklicher Gefahren für viele Menschen durch einen (möglichen) Bombenanschlag, argumentieren die Sicherheitsstrategen. Der Logik der Gefahrenabwehr entspricht es, in Grundrechte einzugreifen, bevor sich Gefahren bedrohlich verdichten. Die Freiheitsrechte, so der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes und Strafrechtslehrer Winfried Hassemer, werden dabei in dem jeweiligen Bedrohungsszenario zerrieben.
Brandenburg soll folgen
So verhält es sich auch bei dem gegenwärtig in der Diskussion stehenden Entwurf einer Novelle des Brandenburger Polizeigesetzes, den der Innenminister vorgelegt hat. Inhaltlich unterscheidet er sich nur in Nuancen von den Entwürfen an derer Länder. Einige der schärfsten und folglich umstrittensten Neuerungen sind die Online-Durchsuchung, die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), die Fußfessel für „Gefährder“, die Ausweitung der Präventionshaft von bisher vier Tagen auf zwei Wochen und der Einsatz von Sprengmitteln gegen Terroristen.
Bei der Online-Durchsuchung dringt der Staat mittels einer Software unbemerkt in Smartphones oder Computer ein, um Daten auszuspähen. Mit der Quellen-TKÜ soll die Polizei auch verschlüsselte Nachrichten überwachen können. Diese Art der Kommunikation ist weit verbreitet. Nachrichten werden vor ihrem Versand ver- und erst beim Empfänger wieder entschlüsselt. Ermittler können die Daten nur vor der Verschlüsselung auslesen. Daher müssen die Geräte selbst angezapft werden. Die für beide Eingriffe notwendige Software nennt man auch Bundestrojaner. Die Maßnahmen sind heute bereits möglich. Sie wurden für die Strafverfolgung, d.h. bei Vorliegen eines konkreten Tatverdachts, 2017 in einer Überrumplungsaktion vom Bundesgesetzgeber eingeführt. Sie stehen unter heftiger Kritik. Es handelt sich nämlich um schwerwiegende Grundrechtseingriffe, die vor allem mit dem 2008 vom Bundesverfassungsgericht geschaffenen „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ kollidieren. Denn die Polizei bekommt verdeckt einen Überblick über das gesamte Leben des Betroffenen, von den Bankdaten über persönliche Mails bis hin zu Kalendern oder Tagebüchern. Alles, was gespeichert wird, ist für die Polizei prinzipiell verfügbar. Dabei könnte die Polizei auch offen auf die meisten dieser Daten zugreifen. Sie muss nur die in Frage kommenden Handys und Computer beschlagnahmen. In diesem Fall kann der Betroffene jedoch das Agieren der Polizei rechtlich überprüfen lassen, was diese oft nicht will. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Zudem ist nicht gewährleistet, dass die Trojaner nur das können, was sie auch dürfen. Auch die Bindung der Eingriffe an eine richterliche Entscheidung (richterlicher Vorbehalt) ist nur eine unzureichende Kontrolle. Dem Richter fehlen, um die Reichweite der Software zu kontrollieren und sicherzustellen, dass diese wieder abgeschaltet wird, die technische Sachkunde und eine unabhängige Expertise. So der Einwand des Grünen Christian Ströbele. Außerdem sagt die Erfahrung, dass Richter generell geneigt sind, Anträge der Ermittlungsbehörden einfach „durchzuwinken“.
Wir befinden uns nicht im Bürgerkrieg
All diese Kritik trifft auch für die geplanten Regelungen im Brandenburger Polizeirecht zu. Sie muss jedoch um einen gravierenden Punkt ergänzt werden. Bei den Brandenburger Befugnissen würde es sich nicht um strafprozessuale Befugnisse zur Aufklärung einer Straftat bei Vorliegen eines konkreten Tatverdachts handeln. Vielmehr wäre hier der Anknüpfungspunkt für das Anordnen der Online-Durchsuchung oder der Quellen-TKÜ das Bejahen einer (diffusen) Gefahr. Das ähnelt eher geheimdienstlichen als polizeilichen Aufgaben. Es geht um eine Art Vorfeldermittlung, was die Grundrechtseingriffe noch fragwürdiger macht.
Die Einführung der elektronischen Fußfessel für „Gefährder“ ist ebenso wie die Präventionshaft eine Sanktionierung ohne rechtswidrige Tat. Das ist rechtsstaatlich mehr als problematisch. Hinter der Sanktion steht die Kategorie „Gefährder“, die nicht gesetzlich definiert ist. Sie ist ein polizeilicher Arbeitsbegriff und bezeichnet Personen, denen politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung zugetraut werden. Wer „Gefährder“ ist, entscheidet die Polizei. Letztlich knüpft die Sanktion der Fußfessel, dieser schwere Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, an die unterstellte Gesinnung der betroffenen Person an. Denkt man die Idee der präventiven Fußfessel und Haft zu Ende, landet man unweigerlich in Guantanamo. Übrigens ist die Fußfessel auch nicht geeignet, einen Selbstmordattentäter von einer geplanten Tat abzuhalten.
Hinsichtlich des vorgesehenen Sprengmitteleinsatzes gegen Personen hat die Gewerkschaft der Polizei es auf den Begriff gebracht: Wir befinden uns nicht im Bürgerkrieg!
Alles in allem drängt der Entwurf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zugunsten des Prinzips der Effektivität weiter zurück. Das ist eigentlich nicht verwunderlich. Denn, wie der ehemals Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer anmerkt: Die Logik der Gefahrenabwehr kennt keine Obergrenze. Sie kann auch in eine „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“, wie sie die Polizei unter der Naziherrschaft praktizierte, münden. Der fielen politische Gegner, „Berufsverbrecher“, „Gemeinschaftsfremde“, „Homosexuelle“ oder unangepasste Jugendliche zum Opfer. Insofern ist der Satz, Freiheit bedarf Sicherheit, einfach dümmlich. Freiheit und Sicherheit stehen in einem Spannungsverhältnis. Will man nicht in einem völligen Überwachungsstaat landen, muss die Sicherheits- und Kriminalpolitik immer grundrechtsorientiert sein. Das bedeutet aber wiederum, Verschärfungen des Brandenburger Polizeigesetzes abzulehnen.
Publiziert im Widerspruch September 2018, Seite 4